2021 Anna Backen Brot Elena Foto: Michael Urban. Gosseltshausen Foto: Tobias Roßmann Hallertau Kräuter März Pflanzen Sammeln Strelnikova Tröstler

Tour: Ein Wildkräu­terbrot Michael Urban entdeckt die LOWA-Heimatregion.

Character:
Kräuter­wan­derung in der Umgebung mit anschließendem Brot­backen
Start of the tour:
Gosselt­shausen bei Wolnzach
End of the tour:
Gosselt­shausen bei Wolnzach
Duration:
05:00 hours
Equipment:
wetterfeste Kleidung, leichte Wander­schuhe, Handy/Karte (Pflan­zen­erken­nung­s­programm, Kartierung), Kräu­terbestim­mungsbuch, Korb/Säckchen, Messer/Schere, Hand­schuhe, Getränk
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Our shoe tip:
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Wie das wohl früher war… als die Menschen in der Natur nach Wildkräutern wie etwa den Giersch suchten, um Hungersnöte zu über­stehen oder während der Weltkriege ihre Vitam­in­zufuhr zu sichern. In der heutigen Zeit der Nahrung­ser­gän­zungs­mittel kaum mehr vorstellbar. Genug Anreiz für mich, meine Crew zu aktivieren und eine Kräutersuche als kulin­ar­isches Micro Adventure bei uns in der Hallertau auszuprobieren. Unser Plan ist es, so viele Wildkräuter in der freien Natur zu sammeln, dass wir damit ein Faltenbrot backen können. Das wird unser erster Versuch, zudem hat es draußen gerade einmal 3 Grad. Also, maximaler Einsatz! Wir sind neugierig und uns läuft das Wasser schon im Mund zusammen.

Prakt­ischerweise kennt mein Aben­teuerkollege Tobias sowohl ausreichend essbare Wildkräuter als auch einige Standorte, wo sie hoffentlich auch schon jetzt, Mitte März, wachsen. Ich alleine hätte selbst mit Kräu­terbuch keine Chance gehabt, die Aktion in einem halben Tag und ohne Kollat­er­alschäden durchzuziehen. Einige Kräuter wie zum Beispiel Bärlauch oder Schar­bock­skraut sollte man nicht nach ihrer Blüte essen, andere wie das Maiglöckchen, das dem Bärlauch ähnlich sieht, sind sehr giftig. Wir geben zwar wie Deadpool „max­imalen Einsatz“, aber die Selb­stheilung­skräfte des Marvel-Super­helden haben wir leider nicht. Am besten lässt man sich von einem Experten wie einem Wildkräuter­päd­agogen instruieren oder tastet sich vorsichtig mithilfe guter Literatur heran. Oder man hat Glück und Freunde, die Ahnung haben und mit anpacken. So auch unsere Ladies Elena und Anna, die beim Sammeln mithelfen und die Hefe vorbereiten.

Wir starten an einem frischen Sonntag­nachmittag, die letzten Wochen war es kalt mit Nacht­frösten, es hat sogar ein paar Mal geschneit. Falls wir Kräuter finden, sind sie sicher noch zart, frisch und wohlschmeckend. Wir steigen einen steilen Wiesenhang hinauf, der ein paar hundert Meter von Elenas und Tobis Zuhause entfernt ist. Elena verzieht das Gesicht, als uns kalter Wind entge­genbläst. Doch bald schöpfen wir Hoffnung. Wir entdecken die ersten Farb­tupfer in der noch recht braunen und tristen Umgebung: violette und weiße Krokusse läuten neben Schnee­glöckchen und himmel­blauen Hasen­glöckchen den Frühling ein.

Ein paar Minuten später sind wir an unserem ersten Kräuter-Spot, einem kleinen schattig-feuchten Wald­streifen, der von Wiesen­hängen unter­brochen wird. Hier finden wir zuerst das herbe, etwas scharf schmeckende Schar­bock­skraut (Verwechslungsgefahr mit Hahnenfuß-Gewächsen!). Fällt der Geschmackstest „stechend-bitter“ aus, hilft Trocknen vor dem Verzehr. Aufgrund seines hohen Vitamin-C-Gehalts gehörte dieses Kraut früher zum Reiseproviant von Seefahrern, die zwar Zitronen und Sauerkraut, aber meist kein Gemüse oder Obst auf ihren Seereisen dabei­hatten. So konnten sie der Vitamin-C-Mangelkrankheit Skorbut vorbeugen. Daher lautet die alte Bezeichnung für Skorbut „Scharbock“. Ist Etymologie nicht etwas Schönes? Ein paar Meter weiter spitzt auf circa 75 Quad­rat­metern frischer Giersch aus dem Boden. Für die meisten ist der Dolden­blütler ein Unkraut, das den Garten zuwuchert. Roh schmeckt und riecht Giersch ein wenig wie Möhren oder Petersilie gemischt mit dem harzigen Aroma einer Mango, gekocht dann hingegen wie Spinat. Am dreik­antigen Blattstiel kann man ihn gut erkennen und von ungenießbaren und giftigen Arten wie dem Gefleckten Schi­erling oder Breit­blät­trigem Merk unter­scheiden. Ich beginne zu sammeln, während Elena und Tobi – Vogelschützer, die sie sind – die Vogelfüt­terung im benachbarten Wäldchen neu auffüllen. Das Ernten ist relativ mühsam, weil der Giersch nur circa ein paar Zentimeter aus dem Boden schaut, dafür ist er an Frische nicht zu über­bieten.

Als wir wenig später auf einem kleinen Pfad ein Schle­hen­dickicht durchqueren (hierher müssen wir in einem Monat zur Blüte unbedingt zurück­kommen!), über­rascht uns ein melan­cholisch tönendes Klü-Klü-Klü-Klü: die fallende Rufreihe eines Graus­pechts, was deshalb etwas Besonderes ist, weil diese Spechtart weit­gehend heimlich lebt. Wir flirten ein, zwei Mal mit ihm, indem wir seinen Ruf nachahmen, lassen ihn dann aber in Ruhe, so dass er von dannen flattert und wir weit­erziehen. An einem stillgelegten Hopfengarten finden wir einen Teppich von Vogelmiere. Gut für uns, denn die Vogelmiere gehört in die Teigmasse für unser Brot. Unsere Vorfreude wächst, keiner von uns hat schon einmal so etwas Aufwendiges und Deftiges wie ein Brot mit Wildkräutern gemacht. Mittlerweile müssen wir immer wieder die klammen Finger in den Hand­schuhen aufwärmen, da uns das Gefühl aufgrund des kalten Windes abhanden kommt. Nebenbei naschen wir ein wenig, die Vogelmiere schmeckt wie junger, roher Mais oder Erbsen, einfach immer wieder über­raschend. Nach dieser Station verab­schiedet Elena sich, um mit Anna den Teig vorzubereiten.

Tobi und ich machen an einem sandigen Ranken mit Ginster- und Holun­der­büschen Halt. Obwohl es hier relativ braun und erdig aussieht, entpuppt sich der kleine Hang­streifen als viel­seitiger Mikrokosmos. Das bittere Schaumkraut und die Acker­veilchen interessieren uns zwar nicht, daneben finden wir aber das viel­seitige Wiesen-Labkraut (schmeckt wie eine Mischung aus Rucola und Kopfsalat) und Ehrenpreis, der mit einem bitter-herben und leicht balsamischen Geschmack als Heilkraut Tradition hat. Langsam dämmert es, dazu kommt leichter Hagel, unser Korb ist erst halbvoll. Es muss noch etwas her, wenn wir unser Plan gelingen soll!

Ich würde gerne noch Bärlauch und Bren­nnesseln finden. Letztere weisen viele Mineralien, Vitamin A und C, Eisen und Eiweiß auf und würden unseren Korb schneller füllen, da sie meist in Gruppen wachsen. Ich treibe uns zu einer kleinen Runde durch den Wald an. Auf dem Weg dorthin zieht es mich wie magisch zu einem Feldweg, der von einem circa 1 Meter breiten Wiesen­streifen begleitet wird. Ich schaue genauer hin, schiebe das lange, welke Gras zur Seite und entdecke… Bren­nnesseln! Entweder ist es pures Glück, denn bis dahin hatten wir noch keine Spur von ihnen gesehen. Oder ich habe Bren­nnesseln (ggfs. mit Schere oder Hand­schuhen ernten und die Blätter, waschen, walzen und klein schneiden, um die Wirkung der Nesselhaare zu neut­ral­isieren) beim Spazieren, Wandern oder Joggen schon so oft in ähnlicher Umgebung gesehen, dass mir unbewusst klar war, wo sie ungefähr zu finden sind. Eine verrückte Erfahrung. Ein bisschen peinlich, weil ich gerne besser über die Pflanzen und ihre Standorte Bescheid wissen würde. Aber auch irgendwie cool, dass man unter­schwellig über solche Inform­a­tionen zu verfügen scheint. Man müsste sie nur aktivieren. Die purpurrote Taub­nessel von nebenan schmeckt über­raschend waldig-pilzig, ein zusätz­licher Gewinn für unser Brot!

Bei unserer kleinen Runde im Wald finden wir zwar keinen Bärlauch, aber am Waldrand noch ein paar Nesseln und einiges an Vogelmiere. Wir begegnen zwei Hasen, in diesem Fall Konkur­renten um die frischen Kräuter. Als es schon fast dunkel ist, entdecken wir im lichten Wald zwischen jungen Brom­beer­p­flanzen ein stat­t­liches Gier­schvorkommen. Die Pflanzen hier sind schon deutlich größer als ganz am Anfang unserer Unternehmung und wir nutzen die Chance, um unseren Korb voll zu machen. Mit Sammeln und Foto­grafieren waren wir gut vier Stunden unterwegs, jetzt hoffen wir, dass Teil zwei, das Backen unseres Kräu­ter­brotes, ebenso gut wie das Sammeln verläuft.

Unsere Ladies haben mittlerweile schon den Teig mit Dinkelmehl, Wasser, Hefe, Salz, Honig, Olivenöl und der kleinge­hackten Vogelmiere zubereitet, letztere dient zur Färbung und um dem Geschmack noch eine weitere Note zu geben. Nun hacken wir Mozzarella, die Zwiebel, den Bärlauch vom Vortag und die rest­lichen Kräuter klein, fügen Salz und Pfeffer hinzu und verteilen die Mischung auf dem ausger­ollten, grün­lichen Teig. Sieht schon mal vielver­sprechend aus, wir haben genau die richtige Menge an Kräutern zusam­menge­bracht. Wir schneiden den belegten Teig in Streifen und legen ihn so zusammen, dass es in eine Backform passt. Danach kommt das Faltenbrot für 30 bis 60 Minuten bei 180 Grad in den Ofen. Tobi und ich kochen in der Zwis­chenzeit eine Suppe draußen am Lagerfeuer, die ebenfalls ein paar unserer Kräuter abbekommen hat. Unser Abendessen verfeinern wir stilecht mit Zutaten aus unserer Heimat: Wild­salami und -pfef­fer­beißer aus dem Jagdrevier meines Vaters, Mutterns Hasel­nuss­muffins mit Nüssen aus der Plantage meiner Tante und Blau­beeren, die ich letzten Sommer im Feilenmoos geerntet und einge­froren habe. So einfach und solch Luxus zugleich… Trotz unseres Hungers halten wir inne und freuen uns über so gute, natürliche und gesunde Nahrungs­mittel. Und dazu kommt als Hauptdarsteller unser frisch gebackenes Kräu­terbrot. Das sehr „grün“, erstaunlich gut und zu verschiedensten Speisen schmeckt. Auch wenn wir es nächstes Mal noch stärker würzen dürfen, sind wir mit unserem ersten Versuch überaus zufrieden. Mit vollen Bäuchen, von Nesseln brennenden Fingern und viel Lachen klingt unser Tag aus. Maximaler Einsatz – maximales Ergebnis.